HIV-Infektionen sind inzwischen vor allem in westlichen Industrieländern gut mit entsprechenden Medikamenten zu managen und schon seit längerer Zeit kein Faktor mehr, der sich nennenswert auf die Lebenserwartung auswirkt. Durch moderne Medikamente kann die Virenlast unter die Nachweisgrenze gedrückt werden, was auch die Übertragung des Virus verhindert. Geheilt sind die Betroffenen dadurch jedoch nicht – sie müssen ihr Leben lang die entsprechenden Medikamente einnehmen. Trotz vielversprechender Kandidaten gibt es bisher auch keinen Impfstoff gegen HIV. In Berlin wurde nun jedoch erneut ein HIV-Infizierter geheilt. Dabei kam eine Stammzellentransplantation zum Einsatz. Nach der Behandlung waren keine HI-Viren mehr im Körper des Patienten vorhanden. Es handelt sich weltweit um den siebenten Fall, bei dem die Heilung mittels Knochenmarks-Stammzelltransplantation gelungen ist. Die Methode ist zwar nicht tauglich für den Einsatz bei vielen Patient:innen, kann aber neue Ansatzpunkte für neue Therapien für HIV liefern.


HIV
Foto: Know your HIV status, Jon Rawlinson, Flickr, CC BY-SA 2.0

Der zweite Berliner Patient wurde geheilt

Bisher konnte nur eine gute Handvoll HIV-infizierter Patient:innen komplett von dem Virus geheilt werden. Diese litten zusätzlich an einem Blutkrebs, was eine Knochenmarks-Transplantation erforderlich machte. Durch die Auswahl von Spenderknochenmark mit einem Genmutation, die zu einer Immunität gegen das HI-Virus führt, soll diese Immunität auf den Patienten bzw. die Patientin übertragen werden. Die entsprechende Mutation wird in Europa von etwa einem Prozent der Menschen getragen.

Einem Team rund um Christian Gaebler von der Charité-Universitätsmedizin Berlin ist nun erneut die Helung eines Patienten mit HIV geglückt. Dabei kam eine modifizierte Methode zum Einsatz. Der 60-jährige litt ebenfalls an einem Blutkrebs, nämlich einer akuten myeloischen Leukämie. Diese machte eine Knochenmarks-Transplantation erforderlich. Allerdings erhielt er keine vollständig mutierten Stammzellen, die damit gegen HIV immun sind.


Weil es für die Stammzellspende leider keine geeignete HIV-immune Person gab, haben wir eine Spenderin ausfindig gemacht, die auf ihren Zellen neben der normalen Version des CCR5-Rezeptors zusätzlich auch die mutierte Version der Andockstelle trägt. Das ist der Fall, wenn ein Mensch die Delta-32-Mutation nur von einem Elternteil vererbt bekommt. Das Vorhandensein beider Rezeptor-Versionen verleiht allerdings keine Immunität gegen das HI-Virus„, so Olaf Penack, der als Oberarzt an der behandelnden Klinik beschäftigt ist.

Unbekannter Mechanismus hinter der Heilung

Die Stammzellentherapie hätte somit zwar gegen die Leukämie wirken sollen, nicht aber gegen das HI-Virus. Allerdings funktionierte die Behandlung trotzdem: Der Patient hat seit 2018 seine antiviralen Medikamente abgesetzt. Dennoch ist seit der Stammzellenübertragung in seinem Blut kein HI-Virus mehr nachweisbar. Die Ärzt:innen sehen ihren Patienten daher als von seiner Infektion mit HIV geheilt an.

Allerdings wissen sie noch nicht, wieso die Behandlung überhaupt angeschlagen hat. In vergleichbaren Fällen mit nur teilweise mutierten CCR5-Rezeptoren konnte sich das Virus weiter vermehren. Die Ärzt:innen gehen davon aus, dass die Immunzellen der Spenderin alle infizierten Zellen des Patienten verdrängen konnten. „Mit dem Austausch des Immunsystems haben wir offenbar alle Virus-Verstecke zunichte gemacht, sodass das HI-Virus die gespendeten, neuen Immunzellen nicht mehr infizieren konnte. In diesem Fall wäre die Heilung nicht primär auf die genetische CCR5-Ausstattung der Stammzellspenderin zurückzuführen, sondern darauf, dass die transplantierten Immunzellen der Spenderin alle HIV-infizierten Zellen des Patienten beseitigt haben„, so Gaebler.

Allerdings sei auch denkbar, dass die Heilung auf einen noch komplett unbekannten Faktor zurückzuführen ist, etwa besondere Eigenschaften des Immunsystems der Spenderin.

Nicht auf viele Patient:innen anwendbar

Die Behandlung, die dem 60-jährigen Patienten zugute kam, ist allerdings nicht für einen Masseneinsatz geeignet, von dem die etwa 39 Millionen HIV-infizierte Menschen auf der Welt profitieren können. Das liegt daran, dass die Stammzellen-Transplantation ein relativ riskanter Eingriff ist: Etwa zehn Prozent der Patient:innen überleben ihn nicht. Die Forscher:innen hoffen dennoch, dass der aktuelle Fall zu neuen Erkenntnissen führt, die bei der Entwicklung neuer Therapien gegen HIV helfen können.

„Sobald wir besser verstehen, welche Faktoren beim zweiten Berliner Patienten zur Entfernung aller HIV-Verstecke beigetragen haben, lassen sich die Erkenntnisse hoffentlich für die Entwicklung neuartiger Behandlungskonzepte wie zum Beispiel zellbasierter Immuntherapien oder therapeutischer Impfstoffe nutzen. Unser Ziel ist weiterhin, HIV-Infektionen in Zukunft nicht nur im Einzelfall, sondern in der Breite heilen zu können„, so Gaebler.

via Charité – Universitätsmedizin Berlin

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