Bei einem schweren Verlauf der durch das Virus SARS-CoV-2 ausgelösten Erkrankung Covid-19 gehören Atemnot sowie eine niedrige Sauerstoffsättigung um Blut zu den am häufigsten beobachteten Symptomen. Jedoch gibt es Patienten, bei denen trotz einer gefährlich niedrigen Sauerstoffsättigung keine Atemnot ausgelöst wird. Ärzte bezeichnen dieses Phänomen als „stille Hypoxämie“ und stehen bezüglich seiner Ursachen vor einem Rätsel. Forscher der Loyola Univerity of Chigaco lieferten nun einen ersten Erklärungsansatz.


Keine Atemnot trotz lebensbedrohlicher Werte

Die Mechanismen hinter den Symptomen niedrige Sauerstoffsättigung und Luftnot bei Covid-19 sind im Grunde schnell erklärt. Die Lunge von Covid-19 Patienten wird von der Krankheit angegriffen, sodass nicht mehr genug Sauerstoff ins Blut und damit in die Organe gelangt. Hinzu kommen Blutgerinnsel in der Lunge, die den Gasaustausch weiter hemmen können. Ein verminderter Gasaustausch führt nicht nur zu niedrigeren Sauerstoffwerten, sondern behindert auch das Abatmen von CO2, sodass die Konzentration dieses Atemgases im Blut ansteigt. Die veränderte Sauerstoff- und CO2-Konzentration im Blut wird im Normalfall von Sensoren in den Halsschlagadern erkannt, die dann ein Alarmsignal an das Atemzentrum im Hirnstamm senden, wenn der Partialdruck des Sauerstoffs unter 60 mmHg (Millimeter Quecksilber) sinkt und der CO2-Partialdruck 39 mmHg übersteigt. Das Atemzentrum veranlasst daraufhin eine Intensivierung der Atmung, während eine Rückmeldung ans Großhirn parallel für das Gefühl der Atemnot sorgt.

Doch bei manchen Patienten mit Covid-19 scheint dieses System ausgefallen zu sein. Trotz extrem niedriger Sauerstoffsättigung (teilweise in Bereichen, die eigentlich zur Ohnmacht führen sollten) gibt es keine körperliche Reaktion. Die Patienten können völlig normal laufen, sprechen oder telefonieren. „ Für Mediziner ist diese stille Hypoxämie extrem verwirrend, weil sie der grundlegenden Biologie zu widersprechen scheint„, so Martin Tobin von der Loyola University of Chicago.


Mehrere Faktoren spielen eine Rolle

Tobin und sein Team berichten von einem Fall, bei dem bei einem 74-jährigen Patienten ein Sauerstoffpartialdruck von 34 mmHg gemessen wurde. Die Sauerstoffsättigung im Blut des Mannes betrug nur noch 62 Prozent, was als akut lebensbedrohlich gilt. Dennoch gab der Patient konsistent an, keinerlei Atemnot zu verspüren. Die Forscher untersuchten 16 weitere Patienten mit unbemerktem Sauerstoffmangel. Bei 7 von ihnen war auch die CO2-Konzentration deutlich erhöht. Die Luftnot der Patienten blieb dennoch „stumm“.

Tobin und seine Kollegen machten sich daraufhin auf die Suche nach Erklärungen. Ihren Angaben zufolge können bei der stummen Luftnot mehrere Faktoren eine Rolle spielen. Einer dieser Faktoren ist das Alter der Betroffenen: „ Bei Menschen, die älter sind als 65 Jahre, ist die Atemreaktion auf Sauerstoffmangel um 50 Prozent geringer. Es ist daher wahrscheinlich, dass gerade ältere Covid-19-Patienten häufiger eine stille Hypoxämie entwickeln„, so die Forscher. Ähnliche Auswirkungen könne auch eine Diabetes-Erkrankung haben.

Und auch Fieber sei möglicherweise ein Faktor, so die Wissenschaftler. Eine erhöhte Körpertemperatur ändert das Lösungsverhalten von Sauerstoff, sodass die Sauerstoffsättigung im Blut sinkt, während der Partialdruck gleich bleibt. „Diese Verschiebung kann demnach substanzielle Entsättigungen hervorrufen, ohne dass dies die Regulation durch die Halsschlagader-Sensoren beeinflusst, denn diese reagieren nur auf den Partialdruck„, erklären die Forscher weiter.

Greift das Coronavirus das Atemzentrum an?

Die von Tobin und seinem Team aufgedeckten Faktoren können aber nicht alleine alle Fälle stiller Hypoxämie bei Covid-19 erklären. Die Wissenschaftler vermuten, dass SARS-CoV-2 auch die Atemregulation manipuliert. Der ACE2-Rezeptor, den das Virus nutzt, um in eine Zelle einzudringen, ist auch an den Stellen der Halsschlagader vorhanden, an denen die Sauerstoffsensoren des Körpers sitzen. Außerdem kann das Virus über die Nasenschleimhaut und die Riechnerven direkt ins Gehirn gelangen.

Denkbar wäre also, dass das Coronavirus sowohl die Sensoren als auch das Atemzentrum angreift und in ihrer Funktion beeinträchtigt. Ob dies zutrifft, müsse erst noch weiter untersucht werden, so die Forscher. Bis dahin gäbe es aber keinen Grund, in Fällen stiller Hypoxämie überzureagieren: „ Die neuen Erkenntnisse könnten helfen, unnötige Intubationen und mechanische Beatmung zu vermeiden, die auch Risiken bergen„, so Tobin.

via Newswise

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