An E-Scootern scheiden sich die Geister. Während die kleinen Flitzer für die einen umweltfreundliche, flexible Mobilität versprechen, sind sie die in der ganzen Stadt parkenden Scooter eher ein Dorn im Auge. Fakt ist aber: E-Scooter sind inzwischen in vielen Städten vertreten, sowohl im Privatbesitz als auch in diversen Sharing-Modellen. Mit ihrer fortschreitenden Verbreitung häufen sich auch Unfälle mit schweren Verletzungen, wobei das Risiko, das mit den Elektro-Flitzern verbunden ist, vielfach unterschätzt wird. Forscher:innen des Fraunhofer-Instituts haben im Rahmen des „HUMAD“-Projekts ein typisches E-Scooter-Unfallszenario und die damit einhergehenden Verletzungen untersucht. Außerdem testeten sie neuartige Werkstoffe für Helme und Protektoren, die viel besser schützen könnten als herkömmliche Produkte. Bild: Fraunhofer EMI E-Scooter auf dem Prüfstand Wer sich das Risiko vergegenwärtigen will, das mit den E-Scootern einhergeht, der muss sich nur die Zahlen des Statistischen Bundesamts zu Gemüte führen. 2020 gab es deutschlandweit 2155 Unfälle mit E-Scootern. Dabei kamen fünf Menschen ums Leben und 386 wurden schwer verletzt. Bei 75 Prozent dieser Unfälle lag die Hauptschuld bei dem/der Fahrer:in des Scooters. Hauptursache war dabei der Kontrollverlust über das Fahrzeug aufgrund erhöhter Geschwindigkeit oder Fahren in falscher Richtung. Auch Alkohol spielte bei vielen Unfällen eine Rolle. Ein Team des Fraunhofer-Instituts für Kurzzeitdynamik, Ernst-Mach-Institut, EMI sowie für Werkstoffmechanik IWM, beide aus Freiburg, hat im Rahmen des Forschungsprojekts „HUMAD“ (Human Accident Dynamics) eine Untersuchung zur Crashsicherheit der Scooter durchgeführt. Dabei wollten sie den Verlauf typischer Unfälle untersuchen und das damit verbundene Verletzungsrisiko bestimmen. Außerdem sollte Schutzausrüstung wie Helme und Protektoren auf ihre Eignung hin untersucht werden. Dabei übernahm das Fraunhofer EMI die Crashtests, während das Fraunhofer IWM die Untersuchung der Schutzausrüstung durchführte. Test mit Crash-Dummies Eine besonders häufige Unfallart mit E-Scootern ist der Unfall ohne Beteiligung eines anderen Verkehrsteilnehmers. Diese wurde am Beispiel der Kollision mit einer Bordsteinkante untersucht. „Wir haben dazu ebenso wie bei den Crashtests der Autoindustrie mit einem Crashtest-Dummy gearbeitet. Der Dummy wurde auf das nachgebaute Modell eines E-Scooters gestellt und in einem Winkel von 60 bzw. 90° mit Geschwindigkeiten von 10, 20 und 30 km/h gegen eine Kante gesteuert„, erklärt Dr. Matthias Boljen, Leiter der Forschungsgruppe „Human Body Dynamic“ am Fraunhofer EMI. Im Rahmen solcher Unfälle fliegt der Körper des/der Fahrer:in über den Lenker, wird in die Höhe katapultiert und fliegt je nach Aufprallgeschwindigkeit mehrere Meter weit. Insbesondere am Kopf können dabei schwere Verletzungen auftreten. Aber auch die Verletzungsgefahr für die Knie ist recht hoch. Bild: Fraunhofer EMI Crash-Simulationen offenbaren große Kräfte Das Team analysierte das gleiche Unfallszenario außerdem in sogenannten Finite-Elemente-Simulationen. Dabei wurden der Scooter und der Mensch digital nachgebildet nd die physikalischen Erhaltungssätze für Masse, Impuls und Energie sowie die Materialgesetze für Fahrzeug und Menschmodell hinterlegt. So kann Simulationssoftware anzeigen, welche Beschleunigungskräfte auf Knie und Kopf einwirken. „Sowohl die Crashversuche mit dem Dummy als auch die numerischen Simulationen mit dem Menschmodell führten beide zum selben Ergebnis„, so Boljen. Auch bei einer relativ niedrigen Geschwindigkeit von 10 km/h treten bei einem Aufprall im 90-Grad-Winkel enorme Kräfte auf. Die Forscher:innen maßen Beschleunigungen von 170 g. Aus diesem Grund sei das Tragen von Schutzausrüstung wie Helmen und Protektoren unbedingt zu empfehlen. „Allerdings kann kein Helm die auf das Gehirn einwirkenden Belastungen grundsätzlich verhindern, lediglich bestimmte Anteile davon reduzieren. Das Risiko, Schädel-Hirn-Traumata zu erleiden, besteht strenggenommen unabhängig davon, ob der oder die Fahrerin einen Helm trägt oder nicht„, erklärt Boljen weiter. Helme und Protektoren haben Verbesserungspotential Bei ihren Untersuchungen fanden die Forscher:innen außerdem heraus, dass die auftretenden Aufprallgeschwindigkeiten die vorgeschriebenen Grenzwerte für Fahrradhelme überschreiten. Das bedeutet, das handelsübliche Helme zwar das Risiko einer Verletzung mildern, aber nicht uneingeschränkt für die Verwendung mit E-Scootern geeignet sind. Und auch bei Protektoren bestehe noch Verbesserungsbedarf. „Protektoren nutzen oftmals Kunststoffe mit einer Wabenstruktur (Honeycomb). Unsere Tests im Labor zeigen, dass Materialien mit der sogenannten TPMS-Struktur (Triply Periodic Minimal Surface) deutlich besser vor kinetischen Einwirkungen schützen„, so Dr. Jörg Lienhard vom Fraunhofer IWM. Die TPMS-Struktur ist von Chitinpanzern von Insekten inspiriert. TPMS-Helme und Protektoren könnten im 3D-Druck mit allen möglichen Materialien hergestellt werden. 3D-Druck-Verfahren punkten durch ihre Flexibilität. Mit ihnen könnte Schutzausrüstung individuell an die jeweilige Anwendung angepasst werden. Die Forscher:innen betonen, dass man bei der Steuerung eines E-Scooters ähnlich konzentriert vorgehen sollte wie bei der Steuerung eines Autos. Außerdem solle man nach Möglichkeit immer einen Helm und Protektoren für die Knie tragen. In Zukunft werden diese hoffentlich noch besser an ihren Anwendungszweck angepasst sein. via Fraunhofer Teile den Artikel oder unterstütze uns mit einer Spende. Facebook Facebook Twitter Twitter WhatsApp WhatsApp Email E-Mail Newsletter