Noch im frühen 20. Jahrhundert existierte das Phänomen der sogenannten „Schwabenkinder“. Jedes Jahr im Frühjahr zogen dabei Kinder und Jugendliche aus armen Alpenregionen nach Oberschwaben, wo sie auf „Kindermärkten“ als Saisonarbeitskräfte vermittelt wurden. Wirklich freiwillig geschah dies in den seltensten Fällen. Zumeist war es die schiere wirtschaftliche Not, die Familien dazu bewog, eines oder mehrere Kinder auf die beschwerliche Reise zu schicken. Betroffen davon war auch das Tiroler Lechtal. Nicht zuletzt als Reaktion darauf, begannen die Einwohner dort mit der Zähmung des namensgebenden Alpenflusses. Dadurch sollten mehr Flächen für die landwirtschaftliche Nutzung gewonnen werden. Doch die so erzielten Fortschritte brachten auch Nachteile mit sich. So sank durch die Maßnahmen der Grundwasserspiegel ab. Außerdem wurde das zuvor charakteristische Ökosystem zerstört. Bild: Kai Brühne –Kai11 12:16, 30 July 2005 (UTC), CC BY-SA 3.0 <http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/>, via Wikimedia Commons Flüsse sorgten lange für eine schöpferische Zerstörung Denn in der Vergangenheit gruben sich die Alpenflüsse in die gewaltigen Berglandschaften und schufen so die heutigen Täler. Außerdem führten sie große Mengen an Gestein mit sich, wodurch typische und teilweise riesige Schotterlandschaften entstanden. Die Flüsse sorgten zudem für eine Art natürliche schöpferische Zerstörung. Denn regelmäßig überfluteten sie große Gebiete und hinterließen diese anschließend in einem völlig neuen Bild. Diese teilweise extrem unwirtlichen Bedingungen sorgten dafür, dass ein einzigartiges Ökosystem entstand. Dazu gehörten Pflanzen, die mit den Geröllwüsten zurechtkamen ebenso wie beispielsweise Fische, die sich an die reißenden Strömungen anpassten. All diese Arten verschwanden allerdings, als der Mensch begann, die Natur zu zähmen. Denn dadurch wurden die Bedingungen für andere Pflanzen und Tiere deutlich freundlicher. Die angepassten Arten verloren somit ihren Wettbewerbsvorteil. Das Ziel ist eine Koexistenz von Mensch und Natur Vor rund zwanzig Jahren begann man allerdings damit, den Lech langsam aber sich wieder zu entzähmen. Nach und nach wurden von Menschenhand errichtete Barrieren zurückgebaut oder weiter nach hinten verlegt. Gleichzeitig wurden große Gebiete unter Naturschutz gestellt und einige typische Arten gezielt wieder angesiedelt. Aktuell kommt der so entstandene Naturpark auf eine Fläche von 42 Quadratkilometern. Er umfasst zudem 24 Gemeinden mit rund 20.000 Einwohnern. Damit wird auch klar, dass es sich keineswegs um ein radikales Projekt handelt. Denn es wurden nicht einfach sämtliche Einschränkungen für den Flusslauf entfernt. Hochwasserschutz findet auch weiterhin statt. Das Ziel ist vielmehr ein Zusammenspiel zwischen Mensch und Natur. Erste Analysen zeigen, dass das Projekt extrem erfolgreich verläuft. So sind im Lechtaler Naturpark inzwischen ein Drittel aller in Tirol heimischen Pflanzenarten zu finden. Der Naturpark bringt auch wirtschaftliche Effekte mit sich Die Artenvielfalt konnte somit massiv erhöht werden – auch bei Fischen und Vögeln. Gleichzeitig möchte natürlich auch niemand die ganz alten Zeiten mit massiver Armut zurück. Geholfen hat in diesem Zusammenhang, dass das Naturschutzprojekt durch Gelder der Europäischen Union unterstützt wurde. Es entstand also durchaus auch ein wirtschaftlicher Effekt für die Region. Zukünftig sollen zudem Touristen verstärkt das nur noch selten zu findende Ökosystem besuchen. Dies stellt die Betreiber des Naturparkes allerdings auch vor Herausforderungen. Denn die natürliche Entwicklung des Flusslaufes und der dort lebenden Arten soll so wenig wie möglich beeinflusst werden. Die Verwaltung hat daher in Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft verschiedene Maßnahmen ergriffen, um die Besucherströme so zu lenken, dass sie keine größeren Schäden anrichten. Das Lechtal kann inzwischen also durchaus als Vorbild gelten für das Zusammenleben von Mensch und Natur. Via: Der Standard Teile den Artikel oder unterstütze uns mit einer Spende. Facebook Facebook Twitter Twitter WhatsApp WhatsApp Email E-Mail Newsletter