Künstliche Intelligenz ist in letzter Zeit in aller Munde und hat große Fortschritte gemacht. Aber im Vergleich zum menschlichen Gehirn haben KI-Systeme auch weiterhin ein Effizienzproblem. Unser Gehirn hat etwa 200 Millionen Zellen und Billionen von Synapsen. Es ist damit weitaus komplexer als jedes KI-System und benötigt dennoch nur etwa 20 Watt Energie. KI-Systeme wie ChatGPT oder Bard benötigen dagegen mehrere Millionen Watt. Wissenschaftler:innen versuchen deshalb bereits seit einiger Zeit, KI-Systeme auf Basis lebender menschlicher Neuronen zu entwickeln. Und nun sind solche Hirn-Organoide, in denen menschliche Zellen mit elektronischen Komponenten kombiniert werden, kein Science.-Fiction mehr. Denn Forscher:innen ist es gelungen, ein lernfähiges bio-elektronisches KI-System zu erzeugen. Dieses bietet großes Potenzial, wirft aber auch bioethische Fragen auf.


Reservoir-Computing mit neuem System

Die ersten Anfänge für bio-elektronische Hybrid-Systeme waren Roboter, die über einzelne lebende Nervenzellen verfügten. Aber nun gelang es einem Team rund um Hongwei Cai von der Indiana University, ein menschliches Hirn-Organoid so mit Elektronik zu verknüpfen, dass daraus ein lernfähiger Hybridcomputer entsteht. Für die Züchtung des Organoid kamen menschliche Stammzellen zum Einsatz. Aus diesen wuchs dann eine dreidimensionale Vorform des Gehirns, die über verknüpfte Neuronen, Astrozyten sowie einigen übergeordneten Hirnstrukturen wie etwa Ventrikeln verfügte.


Derartige Hirn-Organoide gleichen dem ausgewachsenen menschlichen Gehirn in soweit, als dass sie auf äußere Reize reagieren und entsprechende elektrische Signale produzieren. Sie sind außerdem lernfähig – ähnlich wie das menschliche Gehirn. „Für unsere ‚Brainoware‘ nutzen wir ein solches menschliches Hirn-Organoid als anpassungsfähiges lebendes Reservoir„, schreiben die Forscher:innen. Reservoir bezeichnet dabei Reservoir-Computing. Dabei handelt es sich um ein neuronales Netzwerk, bei dem das Lernen primär in einer Schicht vonstatten geht.

Aufgaben für das Hybridsystem

Das „Brainoware“ genannte KI-System besteht aus dem menschlichen Hirn-Organoid, das auf einer hochdichten Elektrodenplatte platziert wird. Die Elektroden erlaubten es den Forscher:innen dann, die Hirnströme des Organoid abzuleiten und es elektrischen Reizen auszusetzen. „Das organische neuronale Netzwerk erhält über diese externe elektrische Stimulation Eingaben und sendet seinerseits Ausgaben über evozierte neuronale Aktivität – das bildet die funktionale Basis für ein KI-Computing„, so die Forscher:innen weiter.

Das Team konfrontierte das Hybridsystem mit zwei Aufgaben. Brainoware sollte zulernen, von unterschiedlichen Menschen gesprochene japanische Silben zu erkennen. Die externe Elektronik wandelte die akustischen Signale dabei in elektrische Impulse um, die dann an das Organoid weitergegeben wurden. Dieses erzeugte dann spezifische Reaktionen, die abgeleitet und wiederum auf der elektronischen Seite dekodiert werden. So sollte das menschliche Hirngewebe lernen, die Signale wiederzuerkennen.

Das Experiment gelang. Anfangs landete das System nur Zufallstreffer. Nach vier Trainingseinheiten lag die Trefferquote dann bei 78 Prozent. „Das zeigt, dass Brainoware seine Spracherkennung durch das Training verbessert hat. Die trainierten Hirn-Organoide haben deutlich mehr veränderte Verknüpfungen – beispielsweise geschwächte, gestärkte, neue und gestutzte Synapsen – als die untrainierten„, schreibt das Team.

Chancen und ethische Herausforderungen

Bei der zweiten Aufgabe sollte Brainoware eine sogenannte Hénon-Karte erstellen, bei der eine zweidimensionale Abbildung einer nichtlinearen dynamischen Gleichung aus Mathematik, Meteorologie oder Physik dargestellt wird. Das System benötigte vier Trainingseinheiten, um die Präzision eines neuronalen Netzwerks zu erreichen, das 50 Trainingseinheiten durchlief.

Cai und seine Kolleg:innen gehen davon aus, dass ihre Ergebnisse zeigen, dass lebende Hirnzellen eine Basis für lernfähige künstliche Intelligenzen genutzt werden können. „Menschliche Hirn-Organoide haben die Fähigkeit zur Selbstorganisation und bilden funktionale organische neuronale Netze, die sich für die Entwicklung von hirn-inspirierter Hardware nutzen lassen„, schreiben die Forscher:innen. Ihrer Ansicht nach bieten derartige bio-elektronische Hybrid-Systeme eine Chance, künstliche Intelligenz sowohl effizienter als auch leistungsfähiger zu machen.

Allerdings werfen die Systeme auch ethische Fragen auf, nämlich die nach der moralischen Vertretbarkeit ihrer Verwendung. Können solche Organoide ein Bewusstsein entwickeln? Sollte dies passieren, ergeben sich daraus eigene Rechte? Im Oktober 2023 verlangte eine Gruppe von Forscher:innen daher nach der Klärung dieser Fragen, bevor die Entwicklung solcher Systeme fortgesetzt wird.

In den nächsten Jahren werden zunehmend komplexere, mit künstlichen Umgebungen interagierende bio-neuronale Systeme entwickelt werden. Wenn die Fähigkeiten dieser Organoid-Systeme wachsen, wird es entscheidend sein, die vielen neuroethischen Fragen anzugehen, die solche Biocomputer mit menschlichem Hirngewebe aufwerfen„, schreiben Forscher:innen rund um Lena Smirnova, die an der Studie nicht beteiligt waren, von der Johns Hopkins University in Baltimore in einem begleitenden Kommentar.

via MIT Technology Review

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