Geier sind innerhalb der Ökosysteme so etwas wie die „Gesundheitspolizei“. Denn sie entsorgen die Kadaver von gestorbenen Tieren schnell und effizient. Auf diese Weise wird die Ausbreitung von möglicherweise gefährlichen Krankheiten verhindert. In Asien allerdings starben die Aasfresser zu Beginn des Jahrtausends beinahe komplett aus. Dies blieb auch für den Menschen nicht ohne Folgen. So wurden die Kadaver toter Tiere anschließend vor allem von wilden Hunden und Ratten gefressen. Diese Tiere breiteten sich dadurch stark aus, was zu einer stärkeren Verbreitung der Tollwut führte. Die Geier starben in Asien allerdings nicht eines natürlichen Todes. Vielmehr war dafür der Mensch verantwortlich. Konkret war es das Rheuma- und Schmerzmittels Diclofenac, das in Südasien in der Massentierzucht zum Einsatz kam. Aßen die Geier den Kadaver eines so behandelten Tieres, starben sie wenig später an Nierenversagen.


Foto: Stefan van Bremen CC by ND 2.0

Die Zulassung durch die EU-Behörden ist umstritten

Nachdem dieser Zusammenhang bekannt wurde, konnten allerdings erfolgreiche Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Inzwischen haben sich die Bestände in den betroffenen Ländern zumindest einigermaßen erholt. Allerdings droht nun eine Wiederholung dieser tragischen Geschichte in Europa. Denn die Europäische Arzneimittelbehörde EMA hat das Medikament trotz dieser Gefahren zugelassen. So wird es unter anderem seit dem Jahr 2013 in Spanien eingesetzt. Zwar wurden einige zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen erlassen – etwa eine Verschreibungspflicht durch Tierärzte und Warnhinweise auf der Verpackung. Doch nun haben Forscher in Katalonien einen Mönchsgeier entdeckt, der an einer Diclofenac-Vergiftung gestorben ist. Für viele Experten stellt dies den Beweis dar, dass die getroffenen Schutzmaßnahmen bei weitem nicht ausreichend sind. Verstärkt wird dies durch die Tatsache, dass in der Vergangenheit immer wieder Kadaver von mit dem Medikament behandelten Tieren an für Geier zugänglichen Stellen gefunden wurden.

Intakte Ökosysteme verhindern die Ausbreitung von Krankheiten

Grundsätzlich gibt es mit dem Mittel Meloxicam auch bereits eine Alternative zu Diclofenac, die ebenso wirksam ist. Doch bisher hat die EMA ihre ursprüngliche Entscheidung nicht revidiert. Sie riskiert damit eine echte Erfolgsgeschichte des Naturschutzes in Gefahr zu bringen. Denn seit strenge Schutzvorschriften für Geier in Europa erlassen wurden, haben sich deren Bestände massiv erholt. Inzwischen gelten daher eigentlich alle vier Geierarten als nicht mehr besonders gefährdet. Eine stärkere Verbreitung von Diclofenac in Tierkadavern könnte hier nun aber für eine unerfreuliche Trendwende sorgen. Dabei sind sich alle Experten einig: Ein intaktes Ökosystem ist nicht nur aus Gründen des Umweltschutzes wichtig, sondern trägt auch dazu bei, dass sich gefährliche Krankheitserreger nicht so schnell ausbreiten und somit auch eine Übertragung auf den Menschen unwahrscheinlicher wird. Der Natur- und Artenschutz ist dieser Lesart zufolge also die erste Abwehrlinie im Kampf gegen weltweite Pandemien.


Via: Süddeutsche Zeitung

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