Ein Plus von 1,5 Grad im Vergleich zu präindustriellen Zeiten — das ist das Ziel, bis zu dem die Erwärmung der Erde gestoppt werden soll. Und verschiedene Berechnungen und Modelle zeigen, dass dies durchaus möglich ist. In Hamburg hat eine Gruppe von Klimafachleuten nun genauer hingeschaut und kam zu etwas pessimistischeren Ergebnissen. Laut dem Exzellenzcluster CLICCS (»Climate, Climatic Change, and Society«) müssen zum Erreichen dieses Ziels auch gesellschaftliche Voraussetzungen erfüllt werden. Aktuell sei dies allerdings nicht der Fall. Foto: Global Warming. The Earth became the newest Waterworld., Andrea Della Adriano, Flickr, https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/legalcode Es fehlt an gesellschaftlichen Entwicklungen Das ambitionierte Ziel, bis 2050 nachhaltig auf Öl, Gas und Kohle zu verzichten und die 1,5-Grad-Grenze einzuhalten, bezeichnen die Experten von CLICCS derzeit als „nicht plausibel“. Dies machen die Forscher weniger an den technisch-naturwissenschaftlichen Voraussetzungen als viel mehr an den nötigen und fehlenden Entwicklungen in der Gesellschaft. „Es ist zurzeit nicht realistisch zu erwarten, dass die gesellschaftlichen Bedingungen die nötigen Veränderungen tragen“, so Anita Engels, Soziologieprofessorin an der Hamburger Universität und eine Sprecherin des Clusters. Zehn Faktoren identifiziert Die Forscher konnten zehn gesellschaftliche Faktoren, die die nötigen Veränderungen fördern oder verhindern. Die sechs fördernden Faktoren seien derzeit noch nicht ausgeprägt genug. Zu ihnen zählen: Der internationale Klimaschutz Die Klimaklagen: Hier sieht das Cluster den Bedarf, dass andere Rechtssysteme den Urteilen aus den Niederlanden und Deutschland nachziehen Die Gesetzgebung durch Staaten und Staatenverbünden wie der EU Internationale Initiativen wie der Europäische Emissionshandel Das Schaffen von Wissen über die Klimakrise Divestment-Bewegungen, die den Firmen im Sektor nicht erneuerbare Energien die Finanzmittel entziehen will Die Reaktion der Wirtschaftsbetriebe sowie die Konsumgewohnheiten der Verbraucher hindern die für das Erreichen des 1,5-Grad-Zieles nötigen Veränderungen eher. Nicht bewertet haben die Experten die Faktoren Journalismus sowie eine neue soziale Bewegung. Die „tiefe Dekarbonisierung“ sei bis 2050 zum aktuellen Zeitpunkt eher unrealistisch, so das Team. Oberste Priorität habe, dass sowohl Energierohstoffe als auch ihr schädliches Verbrennungsprodukt CO2 möglichst komplett aus dem Alltag verschwinde. Um das zu erreichen, müssten die Emissionen in Zukunft pro Jahr so stark sinken, wie es zur Corona-Pandemie der Fall war. Negative Emissionen nur als Lückenfüller Das Team aus Hamburg verlässt sich dabei nicht auf negative Emissionen, die in vielen Szenarien des Weltklimarats eine wichtige Rolle spielen. Dabei geht es um Maßnahmen oder Verfahren, die das CO2 aus der Atmosphäre wieder entfernen. Laut den Experten des CLICCS-Clusters sollen solche Maßnahmen höchstens als Lückenfüller fungieren. Die Einschätzung als „nicht plausibel“ bedeutet für die Arbeitsgruppe aus Hamburg, dass ein Erreichen des Ziels zwar nicht unmöglich sei, aber derzeit nur wenig realistisch. Die Analyse basiert dabei auf Methoden aus der Sozialwissenschaft und orientiert sich an bewährten Theorien des sozialen Wandels und an der veröffentlichten Fachliteratur zu den zehn Faktoren. Pfeile zum erreichen des Ziels Die Forscher zeichnen so ein Bild von zehn Faktoren, die auch als Pfeile in Richtung des Ziels „tiefe Dekarbonisierung“ visualisiert werden können. Diese Pfeile werden dann anhand von fünf Fragen bewertet, die unter anderem den Kurs der Pfeile, den Faktor als Treiber des nötigen Wandels sowie eine mögliche Untergrabung des sozialen Wandels betrachten. „Die Entscheidungen, wie wir die einzelnen Treiber bewerten, sind nach langen Gesprächen und vielen Runden in den zuständigen interdisziplinären Teams gefallen“, erklärt Engels. Kipppunkte auch im sozialen Kontext Die Studie wendet unter anderem das Konzept der Kipppunkte auf soziale Faktoren an. Dabei geht es um Entwicklungen, die einen Punkt erreichen, an dem eine Umkehr unabhängig von den bedingenden Faktoren nicht mehr möglich ist. Dies wird in Sachen Klimawandel etwa für das Eis in Grönland verwendet, das bald einen Punkt erreicht hat, an dem das Schmelzen unabhängig von der Entwicklung der Emissionen nicht mehr abgewendet werden kann. Ein Beispiel für die Anwendung des Konzepts auf soziale Faktoren war etwa das Thema Divestment. Wie Modellstudien zeigen, haben etwa ein Zehntel der Investoren die Möglichkeit, den Finanzmarkt über eine Schwelle zu treiben. Die Forscher des Hamburger Clusters sind sich sicher, dass ohne einschneidende Veränderungen im gesellschaftlichen Kontext ein Erreichen des 1,5-Grad-Ziels nicht mehr realistisch ist. via Teile den Artikel oder unterstütze uns mit einer Spende. Facebook Facebook Twitter Twitter WhatsApp WhatsApp Email E-Mail Newsletter