Die richtige Wirkung erzielen Wirkstoffe in der Medizin nur dann, wenn sie an die Stelle im Körper gelangen, an der sie auch benötigt werden. Forscher:innen haben eine molekulare Spritze entwickelt, für die sie Bakterien so modifizieren, dass diese mit verschiedenen Frachtproteinen beladen und dann an spezifisch ausgewählte Zielstrukturen gebracht werden können. Die Technologie erwies sich sowohl bei Tests mit menschlichen Zellkulturen als auch bei Versuchen mit lebenden Mäusen als vielversprechend. Eine solche Nano-Spritze könnte neue Therapiemöglichkeiten in der Medizin eröffnen.


Bild: Joseph Kreitz

Bakterien als Vorbild

Bakterien haben über viele Millionen Jahre Evolution zahlreiche Taktiken entwickelt, um erfolgreich Proteine in die Zellen ihrer Wirte zu transportieren. So nutzen Bakterien der Gattung Photorhabdus etwa ein sogenanntes extrazelluläres kontraktiles Injektionssystem (eCIS), eine Art Nano-Spritze, die mit Gift beladen ist und von den Bakterien quasi auf Ziele „abgeschossen“ werden kann. Im Fall von Photorhabdus sind die Ziele die Zellen von Insekten. Dort binden die Nano-Spritzen an bestimmte Oberflächenstrukturen, um dann ihre Fracht in die Zelle injizieren zu können. Daraufhin sterben die betroffenen Zellen ab.

Eine Technologie auf Basis dieses Systems könnte nun die Medizin revolutionieren. „Der Transport therapeutischer Moleküle ist ein großer Engpass in der Medizin und wir brauchen eine breite Palette von Möglichkeiten, um diese wirksamen neuen Therapien in die richtigen Zellen im Körper zu bringen„, so Feng Zhang, der am Broad Institute des MIT und der Harvard University beschäftigt ist. Er und sein Team nutzten das Injektionssystem von Photorhabdus als Ausgangspunkt für eine neue Technologie. „Indem wir gelernt haben, wie die Natur Proteine transportiert, waren wir in der Lage, eine neue Plattform zu entwickeln, die helfen kann, diese Lücke zu schließen„, erklärt Zhang.


Die Forscher:innen analysierten das bakterielle Injektionssystem und stießen dabei auf eine nützliche Eigenschaft. Wie sich herausstellte, sind die circa 100 Nanometer langen Konstrukte der Nano-Spritze modular aufgebaut. Die sogenannte Photorhabdus-Virulenzkasette (PVC) verfügt über eine Schwanzfaser, deren Aufgabe es ist, spezifische Strukturen auf der Zielzelle zu erkken und sich daran zu binden. Die Proteinfracht wiederum ist komplett unabhängig von der Schwanzfaser und findet sich in einer Hülle in einer Röhre. Wenn das Konstrukt an eine Zelle gebunden ist, zieht das Röhrchen sich zusammen und presst seine Ladung ins Innere der Zelle.

Erfolgreich gegen Krebszellen

Das Team machte sich das lernfähige KI-System AlphaFold zunutze, das dreidimensionale Proteinstrukturen auf Basis der Aminosäuresequenz vorhersagen kann. So entwickelten die Forscher:innen modifizierte Schwanzfasern. Diese zielen statt auf Insektenzellen auf menschliche Zellen ab. „Das ist ein schönes Beispiel dafür, wie Protein-Engineering die biologische Aktivität eines natürlichen Systems verändern kann. Unsere Arbeit bestätigt, dass Protein-Engineering ein nützliches Werkzeug im Bioengineering und bei der Entwicklung neuer therapeutischer Systeme ist„, sagt Erstautor Joseph Kreitz.

Die Forscher:innen gestalteten die Schwanzfasern dann so, dass sie einen bestimmten Rezeptortyp erkennen können, der typisch für menschliche Krebszellen ist, und führten einen Machbarkeitstest durch. Dabei zeigten sie unter anderem, dass sie die molekulare Spritze mit unterschiedlichen Proteinen beladen können, darunter auch Toxine gegen Tumorzellen oder das Enzym Cas9, das in der Lage ist, für Gen-Editing DNA zu zerschneiden. In ihrem Machbarkeitstest gaben die Forscher:innen dann ihre auf Krebszellen programmierte Nano-Spritzen, die sie vorher mit einem Chemotherapeutikum beladen hatten, zu einer Zellkultur mit menschlichen Krebszellen. Während die Spritze andere Zellen ignorierte, wurden nahezu alle Krebszellen zuverlässig abgetötet. Versuche mit anderen Zielstrukturen und Proteinfrachten zeigten weniger Effizienz der molekularen Spritze, verliefen allerdings dennoch vielversprechend.

Erfolgreiche Praxistests

Anschließend wollte das Team testen, wie eCIS sich in lebenden Organismen verhält. Dafür injizierten sie entsprechend programmierte molekulare Spritzen direkt in das Gehirn lebender Mäuse. Die Schwanzfasern waren auf die Hirnzellen der Mäuse programmiert. Als Fracht fungierte ein grün fluoreszierendes Protein. Grünes Leuchten im Hirn der Tiere zeigte den Forscher:innen dann, dass der Transfer erfolgreich war. Nach dem Ablauf einer Woche waren auch keine Reste der leeren Spritzen im Hirn der Tiere mehr nachweisbar, weshalb das Team davon ausgeht, dass die Nano-Spritzen innerhalb eines kürzeren Zeitraums abgebaut werden können.

Zudem konnte das Team keine Immunreaktion auf die Spritzen feststellen. Stefan Raunse vom Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie in Dortmund weist allerdings darauf hin, dass dies auch wenig überraschend ist: „Allerdings haben sie die PVCs direkt ins Hirn gespritzt und dort erwartet man eher eine geringe Immunantwort. Ich kann mir vorstellen, dass die PVCs doch eine Immunantwort auslösen, wenn sie zum Beispiel ins Blut appliziert werden„, sagte der Forscher, der nicht an der Studie beteiligt war.

Die Größe des PVC-Proteins hat den Nachteil, dass dadurch das Vordringen in dichte Gewebe, wie zum Beispiel bei soliden Tumoren, erschwert wird„, so Raunser weiter. Da die Zelloberflächen von Krebszellen nicht immer eindeutig von gesunden Zellen unterscheidbar seien, könne es je nach Krebsart außerdem schwierig werden, Zielstrukturen zu identifizieren, die für die Tumorzellen spezifisch sind. „Diese Problematik ist mit dieser Methode nicht gelöst und man muss damit rechnen, dass es dadurch viele Off-Targets gibt„, so Raunser weiter.

Kreitz geht jedoch davon aus, dass das eCIS-System in Zukunft noch weiterentwickelt werden kann, sodass neben Proteinen auch andere Frachtmoleküle transportiert werden kömnnen, etwa DNA oder RNA. „ Wir und andere haben gezeigt, dass diese Art von Systemen in der Biosphäre unglaublich vielfältig ist, aber sie sind nicht sehr gut charakterisiert. Wir glauben, dass diese Art von Systemen sehr wichtige Rollen in der Biologie spielen, die noch erforscht werden müssen„, so der Forscher.

via Broad Institute

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