Im Laufe der Evolution sammeln sich in der menschlichen DNA Gene von endogenen Viren an. Wie Forscher:innen herausfanden, können diese den Verlauf von neurodegenerativen Erkrankungen beschleunigen. Diese sogenannten „humanen endogenen Retroviren“ (HERV) tragen laut den Ergebnissen des Teams dazu bei, dass die Alzheimer-typischen verklumpten Tau-Proteine im Gehirn mehr Verbreitung erfahren. Die Proteine der Viren fördern den Transport der TAU-Proteine von Zelle zu Zelle über Membranbläschen.


Bild: DZNE / AG Vorberg (S. Heumüller)

Endogene Viren: Virenreste unserer Vorfahren

Die Gene dieser endogenen Viren sind im menschlichen Erbgut natürlicherweise vorhanden und machen etwa zehn Prozent des menschlichen Genoms aus. Dabei geht es um die Reste von Virengenen, die nach verschiedenen Virusinfektionen unserer Vorfahren in unserem Erbgut verblieben sind. Diese Sequenzen sind im Regelfall weder intakt noch aktiv, können jedoch teilweise auch weiterhin abgelesen werden. Es gibt bereits sehr mehreren Jahren Hinweise darauf, dass endogene Viren etwa einen Einfluss auf die Entwicklung des Gehirns sowie von Krankheiten wie Multiple Sklerose haben könnten.

Nun verdichten sich auch die Hinweise, dass diese Virenreste einen Einfluss auf Demenzerkrankungen haben können. Der bisherige Stand ist, dass neurodegenerative Erkrankungen vor allem von Virusinfektionen zu Lebzeiten beeinflusst werden. „Es gibt jedoch Hinweise dafür, dass endogene Retroviren unter bestimmten Bedingungen aktiviert werden und zu Krebs und neurodegenerativen Erkrankungen beitragen. Im Blut oder Gewebe von Patientinnen und Patienten findet man nämlich Proteine oder andere Genprodukte, die von solchen Retroviren stammen„, so Ina Vorberg vom Deutschen Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), eine Seniorautorin der Studie.


Zu diesen endogenen Viren im Erbgut im Erbgut gehören etwa HERV-W und HERV-K. Diese befinden sich meist im Schlummerzustand, wobei frühere Studien nahelegten, dass HERV-W eine Rolle bei Multipler Sklerose spielt sowie HERV-K bei der Nervenerkrankung Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) und bei der Frontotemporalen Demenz (FTD) aktiviert sind.

Endogene Retroviren und neurodegenerative Erkrankungen

Forscher:innen rund um Vorberg sowie Erstautorin Shu Liz vom DZNE wollten nun herausfinden, welche Rolle diese endogenen Retroviren für Demenzerkrankungen spielen. Um dies herauszufinden, führte das Team Laborstudien an Zellkulturen durch, mit denen sie Situationen im Gehirn modellhaft nachahmen konnten. Unter anderem kamen dabei Zellen von Mäusen zum Einsatz, in denen Proteine des endogenen Murinen Leukämievirus hergestellt wurden. Auch menschliche Zellen kamen zum Einsatz. In ihnen wurden bestimmte Proteine aus der Hülle der Viren HERV-W und HERV-K ausbilden.

Die Forscher:innen beobachteten, dass die viralen Proteine den Transport der sogenannten Tau-Protein-Aggregate von Zelle zu Zelle erleichtern. Beim Tau-Protein handelt es sich um ein fehlgeformtes Protein, das mit Erkrankungen wie Alzheimer, ALS und FTD in Verbindung gebracht wird. Die endoviralen Proteine nisten sich in Transportbläschen ein, die in der Zellmembran lokalisiert sind. Dort agieren sie als Transportvermittler für die TAU-Aggregate.

Virenreste beeinflussen den Transport von Proteinklumpen

Der Transport dieser Tau-Proteinklumpen kann auf zwei Wege stattfinden. Entweder gelangen sie über die Membranfusion von zwei Zellen von einer Zelle in die anderen, oder im Inneren der Vesikel – kleinen Bläschen, die aus der Zellmembran nach außen abgeschnürt werden und dann wieder mit der Membran einer anderen Zelle verschmelzen, sodass ihre Inhalte übertragen werden.

Endovirale Proteine unterstützen nun diesen Prozess der Membranverschmelzung. „Endogene Retroviren wären damit zwar nicht Auslöser von Neurodegeneration, könnten den Krankheitsprozess jedoch befeuern, wenn dieser bereits in Gang gekommen ist“, so Vorberg. Die Forscher:innen schließen daraus, dass diese endogenen Retroviren neben selbst durchgemachten Virusinfektionen eine rolle bei der Entstehung von neurodegenerativen Erkrankungen spielen können. Das Team vermutet, dass die Virenreste im Zuge des Alterungsprozesses wieder aktiviert werden, da sich die Regulation von Genen während des Alterns verändert.

Die Erkenntnisse der Forscher:innen könnte dazu beitragen, neue Behandlungsmethoden für neurodegenerative Erkrankungen zu entwickeln. So könnte man die wieder aktiven Retroviren im Alter wieder ausschalten, sodass sie keine viralen Proteine mehr herstellen können. Außerdem wäre denkbar, die viralen Proteine zu neutralisieren. Allerdings gibt es die benötigten Medikamente noch nicht – sie müssten also noch entwickelt werden. Die Forscher:innen aus Bonn wollen nun nach passenden Antikörpern suchen und testen, ob existierende antivirale Wirkstoffe Auswirkungen auf den Transport der Tau-Aggregate haben können.

via Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE)

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