Dass die Menschheit über ihren Verhältnissen lebt – oder besser: über denen des Planeten – erleben wir Jahr für Jahr am sogenannten Earth Overshoot Day. Neue Erkenntnisse, in deren Rahmen die Belastungsgrenzen des Erdsystems neu definiert wurden, kommen zu dem Schluss, dass die Grenzen unseres Planeten in sieben von acht Bereichen bereits ganz oder teilweise überschritten wurden. Die neuen Grenzbereiche beziehen erstmals Aspekte wie regionale Ungleichheiten und Gerechtigkeit mit ein.


Foto: Earth, Kevin Gill, Flickr, CC BY-SA 2.0

Die Grenzen unseres Planeten

An und für sich ist die Erde ein robustes, widerstandsfähiges System. Dieses hat aber wie jedes System seine Grenzen. Die Überschreitung dieser Grenzen ist nicht einfach nur eine Lappalie, sondern kann den Planeten so verändern, dass auch der Fortbestand der Menschheit gefährdet ist. 2009 definierten Wissenschaftler:innen neun planetare Grenzen. Diese betreffen die Aspekte Klimawandel, Wasserverbrauch, Ökosystem-Integrität, Landnutzung, Aerosole, Ozonschicht, Ozeanversauerung, neuartige Schadstoffe und die Stickstoff- und Phosphor-Kreisläufe. Vier dieser neun Grenzen waren bis 2015 überschritten. 2017 waren es bereits sechs.

Ein internationales Team rund um Johan Rockström vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) hat diese planetare Grenzen nun auf den Prüfstand gestellt. Ihre Kritik: Die Grenzbereiche lassen den Aspekt der Gerechtigkeit außer Acht. Sie berücksichtigen weder regionale Unterschiede noch die Auswirkungen auf kommende Generationen und andere Arten. Die Forscher:innen haben die planetaren Grenzen deshalb erweitert und eine neue Definition entwickelt.


Neues Konzept mit mehr Gerechtigkeit

Das aktualisierte Konzept umfasst fünf große Bereiche: Biosphäre, Wasser, Klima, Nährstoffkreisläufe und Aerosole. Einige dieser Bereiche sind nochmal in Unterbereiche untergliedert. Der Bereich Wasser umfasst etwa Oberflächengewässer und Grundwasser, während die Biosphäre in funktionelle Integrität der Ökosysteme sowie die Fläche der noch natürlichen Ökosysteme mit einbezieht. Im Bereich Nährstoffe wird zwischen Stickstoff und Phosphor unterschieden.

Wenn der Aspekt der Gerechtigkeit mit einbezogen wird, liegen die „gerechten Grenzen“ in drei dieser acht Bereiche unterhalb der „sicheren Grenzen“. Am Beispiel Erderwärmung bedeutet dies: Die sichere Grenze liegt bei 1,5 Grad. In einigen Regionen würde der Klimawandel allerdings deutlich früher schon einen Umfang erreichen, in dem seine Folgen kaum noch erträglich wären, etwa in Regionen, in denen die Temperaturen bereits heute weit mehr als 40 Grad erreiche können. Regionale Unterschiede machen sich auch bei den Grenzen für die Aerosolbelastung und den Stickstoffeinträgen bemerkbar.

Zum ersten Mal präsentieren wir damit quantifizierbare Zahlen und eine solide wissenschaftliche Grundlage, um den Gesundheitszustand unseres Planeten nicht nur im Hinblick auf die Stabilität und Resilienz des Erdsystems zu bewerten, sondern auch in Bezug auf das menschliche Wohlergehen und die Gerechtigkeit„, so Rockström.

Viele Grenzen sind gerissen

Was den Zustand des Planeten in Bezug auf diese Bereiche angeht, so sind die Erkenntnisse der Forscher:innen alarmierend: In fünf der acht Bereiche wurden die sicheren Grenzen bereits überschritten. Betrachtet man die „gerechten Grenzen“, so sind diese in sieben von acht Bereichen überschritten. „86 Prozent der Weltbevölkerung lebt in Gebieten, in denen zwei und mehr Grenzen überschritten sind, 28 Prozent sogar in Gebieten mit vier und mehr gerissenen Grenzen„, so die Forscher:innen. Zu den besonders betroffenen Regionen zählen etwa Südasien sowie Teile Ostasiens. Auch der mittlere Osten, Osteuropa und Russland leiden besonders unter dem Reißen der gerechten Grenzen.

Was den Klimawandel angeht, so liegen wir derzeit noch unter der sicheren Grenze von 1,5 Grad im Vergleich zum präindustriellen Durchschnitt. Die gerechte Grenze von einem Grad wurde allerdings bereits gerissen. Im Bereich Biosphäre gelten 50 bis 60 Prozent intakter Ökosystemflächen und 20 bis 25 Prozent naturnaher Habitate pro Quadratkilometer als sicher. Beides ist in vielen Gebieten bereits nicht mehr vorhanden. Auch in den Bereiche Grundwasser und Gewässer sowie Nährstoffe wurde die sichere Grenze gerissen. Ein Beispiel für eine noch nicht gerissene Grenze sind die Aerosole: Hier liegt die Grenze bei einer Abnahme der optischen Tiefe um 0,15. Bisher erreicht sind im Mittel 0,05.

Besorgniserregende Erkenntnisse

Die neuen Erkenntnisse der Forscher:innen zeigen, wie drastisch die Menschheit bereits heute ins Erdsystem eingreift. „Die Ergebnisse unseres planetaren Gesundheits-Checks sind ziemlich besorgniserregend. Wenn nicht bald eine Transformation stattfindet, sind irreversible Kipppunkte und weitreichende Auswirkungen für das menschliche Wohlergehen wahrscheinlich unvermeidbar. Dieses Szenario zu verhindern, ist daher entscheidend, wenn wir eine sichere und gerechte Zukunft für aktuelle und künftige Generationen wollen„, so Rockström.

Nicht an der Studie beteiligte Wissenschaftler:innen weisen jedoch darauf in, dass in Bezug auf die gerechten Grenzen sowie die Auswirkungen, die ihre Überschreitung haben, noch viel zu klären sei. Es sei zudem auch empfehlenswert, die neu definierten Bereiche in die 2009 definierten Grenzen zu integrieren.

via PIK

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.