Die niedersächsische Politik übte sich in Schadensbegrenzung: Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), Umweltminister Olaf Lies (SPD) und Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) eilten zu Krisengesprächen mit der Geschäftsführung von Enercon. Doch der Windkraftanlagenbauer blieb hart: Leider habe man keine Aufträge mehr für die Produktion von Rotorblättern. Daher müssten im ostfriesischen Aurich und in Magdeburg jeweils rund 1.500 Arbeitsplätze gestrichen werden. Zumindest soll für die Betroffenen aber nach sozialverträglichen Lösungen gesucht werden. Nun ist es grundsätzlich nicht ungewöhnlich, dass Unternehmen in schlechten Zeiten Arbeitsplätze abbauen. In der Windkraft-Branche steht Enercon allerdings keineswegs alleine mit seinen Problemen. So musste die Firma Senvion aus Hamburg bereits im Frühjahr Insolvenz anmelden. Beim Konkurrenten Nordex wiederum fielen alleine bis September dieses Jahres Verluste in Höhe von 76,5 Millionen Euro an.


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Die Krise der Windkraft in Zahlen

Dies spricht dafür, dass neben individuellen Fehlentscheidungen auch strukturelle Gründe hinter der Krise der einzelnen Unternehmen stecken. Sichtbar wird dies an einer einzelnen Zahl: In den ersten sechs Monaten dieses Jahres wurden bundesweit lediglich 86 neue Windkraftanlagen errichtet. Seit Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes im Jahr 2000 lag dieser Wert noch nie so niedrig. In sechs deutschen Bundesländern – Bayern, Hessen, Saarland, Bremen, Hamburg und Berlin – konnte sogar überhaupt kein neues Windrad errichtet werden. Insgesamt lag der Zubau bei 287 Megawatt. Zum Vergleich: In den Jahren 2014 bis 2017 wurden jedes Jahr im Schnitt neue Windkraftanlagen mit einer Kapazität von 4.600 Megawatt neu errichtet. Oder anders ausgedrückt: Die Branche steckt in der Krise, weil in Deutschland aktuell deutlich weniger Windräder gebaut werden als früher.

Anwohner, Bundeswehr und Flugsicherung verhindern Neubauten

Auf diese Erkenntnis folgt allerdings fast unweigerlich die Frage, warum dies so ist. Die Antwort darauf ist allerdings vielschichtig. So gibt es an vielen Standorten bereits Planungen für den Neubau entsprechender Anlagen. Diese werden aber durch Proteste und Gerichtsverfahren verzögert. Bundesweit existieren beispielsweise inzwischen mehr als 1.000 Bürgerinitiativen, die es sich zum Ziel gesetzt haben, den Bau von Windrädern zu verhindern. In rund dreihundert Fällen wird aktuell zudem vor Gericht über die Rechtmäßigkeit von geplanten Neubauten verhandelt. Es sind aber keineswegs immer nur die Anwohner, die Planungen verzögern. Auch die deutsche Flugsicherung und die Bundeswehr legen regelmäßig ihr Veto ein – etwa wenn ein geplantes Windrad zu nah an einem Leuchtfeuer für die Luftfahrt stehen würde.


Langfristig könnten sogar Kapazitäten verloren gehen

Ein Teil des akuten Problems ist zudem auch hausgemacht. Denn bei den Ausschreibungen im Jahr 2017 wurden überproportional viele Projekte an Bürgerenergiegesellschaften vergeben. Davon erhoffte man sich mehr Akzeptanz bei der Bevölkerung vor Ort. Tatsächlich zeigt sich inzwischen aber, dass gerade diese geplanten Anlagen mit erheblichen Verzögerungen zu kämpfen haben. Viele Branchenvertreter beklagen aber auch ganz grundsätzlich, dass es in Deutschland zu kompliziert sei, eine Genehmigung für den Bau eines Windrads zu erhalten. Sie fordern, dass die Verfahren massiv beschleunigt werden – zumindest dort, wo ein bereits bestehendes Windrad durch eine neue Anlage ersetzt werden soll. Andernfalls könnte die Windkraftkapazität in Deutschland zukünftig sogar wieder abnehmen. Für die Energiewende wäre dies fatal.

Wofür brauchen wir die Windkraft eigentlich?

Denn Windräder weisen eine besonders gute Klima- und Umweltbilanz auf. Schon nach drei bis sieben Monaten haben sie so viel Energie produziert wie für die Produktion, den Transport und die Entsorgung der Anlage benötigt wird. Von diesem Moment an erzeugen die Windräder also quasi vollständig reinen Ökostrom. Verglichen mit der Solarenergie ist die Windkraft zudem eine vergleichsweise zuverlässige Energiequelle. Zwar gibt es auch in Deutschland Flauten und Stürme. Die Schwankungen sind aber deutlich weniger stark – was den Betrieb der Stromnetze vereinfacht. Außerdem hat die Bundesregierung das Ziel ausgegeben, bis zum Jahr 2030 den Anteil der Erneuerbaren Energien am Strommix auf 65 Prozent zu steigern. Aktuell liegt dieser Wert lediglich bei rund 43 Prozent. Ohne den Ausbau der Windkraft dürfte dieses Ziel nicht zu erreichen sein.

Industrie-Jobs in strukturschwachen Regionen gehen verloren

Das Interesse der Politik an den Problemen der Windkraftanlagenbauer hat aber nicht nur mit der Energiewende zu tun. Vielmehr entstehen Windparks oftmals in eher strukturschwachen Regionen, weil sich dort noch am ehesten preiswerte und geeignete Flächen finden lassen. Dementsprechend haben sich auch viele Anlagenbauer in der Nähe angesiedelt und begehrte Industrie-Arbeitsplätze geschaffen. Werden dort nun Stellen abgebaut, dürfte es für viele der Betroffenen schwierig werden, einen ähnlichen Job in derselben Region zu finden. Die Vergangenheit hat allerdings gezeigt, dass Politiker in der Regel keine einzelnen Unternehmen retten können. Im Fall der Windkraft-Branche müssen sie dies aber auch gar nicht. Viel wichtiger wäre es, die strukturellen Probleme zu beseitigen, um den Ausbau der Windkraft wiederzubeleben.

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