Neurowissenschaftler:innen gelang es erstmals, einen Schaltplant des kompletten Gehirns eines komplexen Tieres zu erstellen. Es handelte sich dabei um das Gehirn einer Fruchtfliege. Die dadurch entstandene dreidimensionale Karte des Gehirns ist zellgenau und beinhaltet etwa 140.000 Neuronen und mehr als 50 Millionen Synapsen. Mit ihrer Hilfe können die Forscher:innen im Detail untersuchen, wie das Gehirn des Tieres arbeitet.


Bild: Tyler Sloan and Amy Sterling / FlyWire / Princeton University

Eine dreidimensionale Karte des Gehirns

Das Gehirn von Menschen und Tieren enthält zahlreiche Neuronen, die über Synapsen im Rahmen eines komplexen Netzwerks miteinander verbunden sind. Für das Verständnis der Funktionsweise des Gehirns und seines Einflusses auf das Verhalten ist die Kenntnis der Verbindungen zwischen den Gehirns daher unverzichtbar. Deshalb arbeiten Forscher:innen weltweit bereits seit längerem an Methoden, um neuronale Karten zu erstellen, aus denen die Schaltkreise des Gehirns ersichtlich sind.

Ein Tier, das dabei als Augangspunkt in Betracht gezogen wird, ist die Fruchtfliege. Deren Gehirn enthält etwa eine Million Mal weniger Neuronen als das Gehirn eines Menschen, aber sie zeigt bereits eine Reihe komplexer Verhaltensweisen und Fähigkeiten. Sie kann sehen, hören, riechen, sich bewegen, fliegen und mit ihren Artgenossen interagieren. Hinzu kommt, dass etwa 60 Prozent der menschlichen DNA mit der der Fruchtfliege identisch ist – etwa drei Viertel aller genetischen Erkrankungen des Menschen existieren auch bei Fruchtfliegen.


Bisher gelang es allerdings lediglich, unvollständige Karten des halben Fliegengehirns oder von den Larven der Tiere zu erstellen. Ein Forschungsteam des „FlyWire Consortiums“ rund um Sven Dorkenwald von der Princeton University hatte es sich vorgenommen, eine vollständige Karte des Gehirns einer adulten Fruchtfliege zu erstellen. Zu diesem Zweck schnitten sie das Gehirn einer weiblichen Fruchtfliege in 7000 sehr dünne Scheiben und schossen dann hochauflösende Bilder unter Einsatz eines Elektronenmikroskops. Im Anschluss kartierten die Forscher:innen anhand der so entstandenen 21 Millionen Bildern die Positionen und Verbindungen jeder einzelnen Gehirnzelle. Eine künstliche Intelligenz half dann dabei, aus den so gewonnenen Datenmassen eine dreidimensionale Karte zu erstellen.

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Beinahe 140.000 Neuronen

In dem fertigen Schaltplan sind alle 139.255 Neuronen sowie die 54,5 Millionen Synapsen des Tieres verzeichnet. Es handelt sich um die erste derartige Karte eines kompletten Gehirns eines erwachsenen Tieres dieser Komplexität.

Im zweiten Schritt haben die Forscher:innen die Karte dann beschriften und mit detaillierten Anmerkungen zu einzelnen Zellen und Schaltkreisen versehen. Das Gehirn der Fliege umfasst mehr als 8.400 Zelltypen, die in neun Superklassen unterteilt werden können. 4.582 dieser Zelltypen waren davor unerkannt.

Außerdem untersuchten die Forscher:innen, welche der Synapsen, Knotenpunkte und Schaltkreis für bestimmte Verhaltensweisen oder Bewegungen zuständig sind. Demnach sind etwa die meisten Neuronen am Sehen beteiligt. Das Team fand allerdings etwa auch drei spezifische Neuronen, die die Fliegen in ihrer Bewegung innehalten lassen.

Als das Team die neue Karte mit früher erstellten Teilkarten das Fliegengehirns verglich, fanden die Wissenschaftler:innen erhebliche Ähnlichkeiten bei der Verschaltung der unterschiedlichen Hirnzellen – lediglich etwa 0,5 Prozent der Neuronen waren unterschiedlich verknüpft. Die Forscher:innen kamen daher zu dem Schluss, dass individuelle Gehirne relativ ähnlich aufgebaut sind.

Was wir gebaut haben, ist in vielerlei Hinsicht ein Atlas, eine Art Google Maps für das Gehirn. Damit sind Forscher nun in der Lage, das Gehirn sorgfältig zu erkunden, während sie versuchen, es zu verstehen. Die Schaltpläne des Gehirns sind ein erster Schritt zum Verständnis all dessen, was uns interessiert – wie wir unsere Bewegungen steuern, ans Telefon gehen oder einen Freund erkennen„, so das Team.

Eines Tages wird auch das Gehirn des Menschen kartiert werden

Die bei der Kartierung des Gehirns der Fruchtfliege eingesetzten Techniken könnten in Zukunft auch für die Gehirne anderer Arten verwendet werden. Auch die Erstellung von Karten größerer Gehirne sei möglich – auch des des Menschen. Eines Tages könnten auf der Basis dieser Karten individuelle Behandlungen für Hirnerkrankungen oder psychischen Erkrankungen entwickelt werden.

Zunächst wollen die Forscher:innen jedoch das Gehirn einer männlichen Fruchtfliege sowie einer Maus kartieren.

via Princeton University

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