Menschen lernen ihr Leben lang. Manchen von uns fällt das Lernen besonders leicht, andere haben damit mehr Schwierigkeiten. Gerade letztere Gruppe dürfte großes Interesse an einem Experiment haben, das ein Team rund um David Glanzman von der University of California mit Meeresschnecken durchführte: Die Forscher glauben, mittels der Injektion von etwas RNA ein antrainiertes Verhalten von einem Tier auf ein anderes übertragen zu haben. Übertragen auf Menschen würde das bedeuten, dass eine kleine Spritze ausreichen könnte, um Fähigkeiten zu erlernen, für die wir normalerweise einen langwierigen Lernvorgang in Kauf nehmen müssten. Foto: Syringe With 2 Drops, ZaldyImg, Flickr, CC BY-SA 2.0 RNA-Spritze überträgt erlernte Verhaltensweisen Auf den ersten Blick klingt das Experiment der Wissenschaftler aus Kalifornien sehr vielversprechend. Sie trainierten einer Gruppe von Seehasen der Art Aplysia californica ein bestimmtes Verhalten an und extrahierten dann aus den beteiligten Neuronen eine RNA-haltige Flüssigkeit. Diese wurden dann in Versuchstiere aus einer anderen Gruppe injiziert. In Folge zeigten auch die Tiere aus der zweiten Gruppe das fragliche Verhalten, ohne jedoch je darauf trainiert worden zu sein. Beim selben Versuch mit untrainierten Tieren als Ausgangspunkt für die RNA-Extraktion bewirkte die Injektion nichts. Aplysia californica ist eine bei Neurowissenschaftlern sehr beliebte Art, da sie über große und leicht zugängliche Nervenzellen verfügt. Der Lernvorgang, den die Forscher betrachteten, ist sehr gut erforscht. Es handelt sich dabei um einen Schutzreflex, der zu einem schnellen Rückzug der Kiemen führt, wenn die Tiere mit einem Gegenstand am sogenannten Sipho berührt werden – einem schlauchartigen Fortsatz des Atemsystems. Die Forscher nutzten implantierte Elektroden, um den Tieren elektrische Schocks in den Schwanz zu versetzen. Die Folge war eine Dauersensibilisierung, durch die die Tiere noch Tage später ihre Kiemen für etwa eine Minute statt für wenige Sekunden zurückzogen, nachdem man sie am Sipho berührte. Dieses veränderte Verhalten haben die Forscher mit der RNA-Injektion auf andere Tiere übertragen. In der Fachwelt herrschen Zweifel Glanzman und seine Kollegen wollen mit der Studie die Theorie angreifen, dass Erinnerungen ausschließlich in den Verküpfungsmustern von Nervenzellen abgelegt seien. Diese weit verbreitete Ansicht vertritt die Annahme, dass erlernte Verhaltensweisen sich in der Stärke der an der Reaktion beteiligten Synapsen niederschlagen. Glanzman zieht nun aus den Ergebnissen seiner Untersuchung den Schluss, dass Lernvorgänge auch epigenetisch erfolgen, also mit Hilfe von Markern am DNA-Strang. Nun aber die traurige Nachricht für uns Menschen: Die Forscher gehen nicht davon aus, dass die gezeigte Übertragung auch in komplexen Nervensystemen funktioniert. Anders gesagt: Das Lernen per Spritze ist ein Hirngespinst. Laut Glanzman und seinem Team sei das Lernen per RNA-Übertragung auf ganz konkrete Lernvorgänge beschränkt. Aber selbst gegen diese Theorie wurden kritische Stimmen aus der Fachwelt laut. Tomás Ryan vom Trinity College Dublin bezweifelte gegenüber dem Guardian, dass es tatsächlich zu einer Übertragung von Erlerntem gekommen sei. Es sei durchaus möglich, dass ein bisher unbekannter genetische Schalter an dem entsprechenden Schutzreflex beteiligt sei, der durch die RNA-Übertragung ausgelöst wird. Die Ergebnisse von Glanzmans Team regt jedoch zur Diskussion und zu weiteren Untersuchungen an. Erst Experimente mit anderen Organismen und anderen Lernvorgängen werden zeigen können, ob die RNA eine bisher unbekannte Rolle beim Erlernen von Verhaltensweisen spielt. Teile den Artikel oder unterstütze uns mit einer Spende. Facebook Facebook Twitter Twitter WhatsApp WhatsApp Email E-Mail Newsletter