In Deutschland ist die Sache eindeutig: Nach der Atomkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011 wurde die zuvor beschlossene Laufzeitverlängerung nicht nur zurückgenommen, sondern der Ausstieg aus der Kernkraft wurde sogar beschleunigt. Im nächsten Jahr werden daher hierzulande die letzten Atommeiler vom Netz gehen. Ernsthafte politische Ambitionen daran etwas zu ändern, gibt es nicht. Sollte die deutsche Politik allerdings gehofft haben, mit dem Atomausstieg zum Vorbild für ihre europäischen Partner zu werden, dann hat sie sich getäuscht. Denn auch weiterhin gibt es in Europa eine Vielzahl an Positionen zum Thema Atomkraft. Weitere vollständige Atomausstiege sind aber nur selten geplant. Im Gegenteil: Einige Länder diskutieren sogar über die Rückkehr zur Kernenergie oder haben Ausstiegspläne verschoben. Die folgende Übersicht, soll einen Eindruck vermitteln, wie unterschiedlich die Positionen in Europa ausfallen: Foto: Michielverbeek [CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons 1. Diese Staaten bauen neue Atomkraftwerke Frankreich: Mit einem Anteil von mehr als 70 Prozent ist Atomstrom bisher der mit Abstand wichtigste Energieträger. Theoretisch soll der Wert auf unter fünfzig Prozent gesenkt werden. Präsident Macron hat diese Zielmarke aber erst kürzlich vom Jahr 2025 auf das Jahr 2035 verschoben. In Flamanville im Nordosten Frankreichs entsteht aktuell zudem ein neuer Reaktor. Dessen Bau hat sich allerdings um mehr als ein Jahrzehnt verzögert und kostet dreimal so viel wie ursprünglich geplant. Finnland: Aktuell entsteht im finnischen Olkiluoto ein neuer Reaktor. Bauverzögerungen und Kostensteigerungen sind auch hier bekannte Probleme. Trotzdem wird bereits der Bau eines weiteren Reaktors in Hanhikivi geplant. Die Regierung des Landes ist davon überzeugt, die Kernkraft als Brückentechnologie zu benötigen, um das Ziel der Klimaneutralität möglichst schnell zu erreichen. Interessanterweise wird diese Ansicht auch von den finnischen Grünen vertreten. Großbritannien: Die Regierung von Premierminister Johnson sieht die Kernkraft ebenfalls als wichtigen Bestandteil der eigenen Klimaschutzpläne an. Allerdings müssen vier Atommeiler aus Altersgründen in den nächsten Jahren vom Netz gehen. Um den Anteil der Kernkraft am Energiemix konstant zu halten, wird daher aktuell ein neuer Reaktor errichtet. Ein weiter befindet sich zudem in Planung. Innovative Ideen wie CO2-filternde Kernkraftwerke sollen den Klimaschutzcharakter weiter betonen. Türkei: Bei der Regierung in Ankara wiederum spielt nicht die CO2-Bilanz die entscheidende Rolle in den Überlegungen. Vielmehr will das Land die Abhängigkeit von Energieimporten reduzieren. Deshalb wird mit russischer Hilfe ein neues Atomkraftwerk errichtet. Damit könnte auf einen Schlag ein Zehntel des Stromverbrauchs des Landes gedeckt werden. Ob anschließend weitere Kraftwerke gebaut werden sollen, ist bisher nicht bekannt. Dies dürfte auch von der politischen Entwicklung im Land abhängen. 2. Hier befinden sich neue Kraftwerke in Planung Polen: Die Europäische Union übt immer stärkeren Druck auf die Regierung in Warschau aus. Diese soll dafür sorgen, dass deutlich weniger Kohle zur Energieerzeugung verbrannt wird. Im Gegenzug sieht die neue polnische Energiestrategie den Bau von sechs neuen Reaktoren in zwei Kraftwerken vor. Der Baubeginn ist für das Jahr 2026 geplant. Ab dem Jahr 2033 könnte dann Atomstrom in das polnische Netz eingespeist werden. Tschechien: Ähnlich wie Deutschland will Tschechien bis zum Jahr 2038 vollständig auf die Nutzung von Kohle zur Stromerzeugung verzichten. Im Gegenzug sollen nicht nur die Erneuerbaren Energien ausgebaut, sondern auch neue Atomkraftwerke gebaut werden. Die Parlamentswahl im Oktober hat hier aber zu Verzögerungen bei der Ausschreibung geführt. Der grundsätzliche Plan wird aber sowohl von der bisherigen Regierung als auch von der Opposition unterstützt. Niederlande: Auch in den Niederlanden wurde in diesem Jahr gewählt. Allerdings fand die Wahl bereits vor mehr als sieben Monaten statt. Eine neue Regierung gibt es aber noch immer nicht. Vor der Wahl hatte der alte – und wahrscheinliche neue – Premier Mark Rutte allerdings die Kernkraft als wichtiges Instrument in Sachen Klimaschutz bezeichnet. Selbiges taten seine potenziellen Koalitionspartner. Die Länder schwanken noch in Sachen Atomausstieg Schweden: Ursprünglich hatte das Land einmal beschlossen, sämtliche Kernkraftwerke bis zum Jahr 2010 abzuschalten. Dieser Plan wurde dann allerdings wieder verworfen. Aktueller Stand der Dinge: Neue Kraftwerke dürfen nur dort errichtet werden, wo sich auch jetzt schon Atommeiler befinden. Aufgrund der hohen Kosten gelten Neubauten aber als unwahrscheinlich. Der schwedische Atomausstieg ist somit zwar verschoben, wird aber über kurz oder lang doch kommen. Belgien: Ähnlich wie Deutschland hat Belgien den Atomausstieg schon einmal beschlossen und dann doch wieder verschoben, nur um nach der Atomkatastrophe von Fukushima wieder zum ursprünglichen Plan zurückzukehren. Aktuell sollen demnach die letzten Meiler im Jahr 2025 vom Netz gehen. Allerdings wird über diesen Termin aktuell auch wieder diskutiert. Eine erneute Verschiebung erscheint derzeit unwahrscheinlich, ist aber nicht ausgeschlossen. Diese Länder bleiben beim Nein zur Kernkraft Spanien: Derzeit betreibt Spanien noch sieben Atomreaktoren. Diese sollen bis zum Jahr 2035 vollständig abgeschaltet werden. Weil das Land beim Ausbau der Erneuerbaren Energien rasante Fortschritte macht, wird dieses Datum auch nicht infrage gestellt. Zukünftig will sich Spanien zudem als Exporteur von grünem Wasserstoff einen Namen machen. Die Produktion von blauem Wasserstoff mit Atomstrom wird hingegen nicht angestrebt. Italien: Nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl schaltete das Land alle Meiler ab. Im Jahr 2011 wurde noch einmal eine Renaissance der Kernkraft versucht. Doch in einem Referendum wandten sich 94 Prozent der Einwohner gegen die Pläne. Zuletzt sprach sich zwar der Minister für ökologischen Wandel für mehr Offenheit bei dem Thema aus und sinnierte über den Bau von Reaktoren der vierten Generation. Es darf allerdings bezweifelt werden, dass die grundlegende Skepsis in der Bevölkerung einfach verflogen ist. Via: Handelsblatt Teile den Artikel oder unterstütze uns mit einer Spende. Facebook Facebook Twitter Twitter WhatsApp WhatsApp Email E-Mail Newsletter
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