Seit mehreren Jahren wird in Deutschland aktiv über ein generelles Tempolimit diskutiert. Deutsche Autobahnen sind sogar eine Attraktion für Menschen aus dem Ausland, die ihre Autos auf den nicht beschränkten Teilen ausfahren wollen. Aber muss das so bleiben? Ein schwedisches Forschungsteam hat die potenziellen Effekte eines generellen Tempolimits auf deutschen Autobahnen untersucht. Das Ergebnis: Es würde der deutschen Gesellschaft primär Vorteile bringen. By Rl91 (Own work) [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0), via Wikimedia Commons Fast eine Milliarde Euro Einsparungen 950 Millionen – mindestens so hoch wäre der volkswirtschaftliche Wohlfahrtsgewinn jedes Jahr, wenn es ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen gäbe. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung von Forscher:innen der School of Business and Economics an der Linnaeus-Universität in Schweden. Das Team kommt damit gar zu dem Schluss, dass das fehlende generelle Tempolimit in Deutschland eine Subvention für schnelle Fahrer sei. In ihrer Studie rechneten die Forscher:innen die Kosten gegeneinander auf, die durch den Kraftstoffverbrauch, die Reisedauer, CO2-Emissionen, die Infrastruktur, Unfälle und andere Faktoren entweder entstehen oder eingespart werden. Auch wenn die Diskussion über ein generelles Tempolimit hierzulande bereits seit einigen Jahren läuft, fehlt es derzeit an dem politischen Willen, dieses einzuführen. Bei der aktuellen Regierung ist dies vor allem auf Betreiben der FDP zurückzuführen. Im Oktober 2022 wurde im Verkehrsausschuss des Bundestags gegen einen Antrag gestimmt, der von Abgeordneten der Linkspartei kam und ein generelles Tempolimit von 130 km/h auf deutschen Autobahnen forderte. Die Bundesregierung stellte in einer Antwort auf eine kleine Anfrage der Linken klar, dass es diese Legislaturperiode mit ihr kein generelles Tempolimit geben wird. Reisezeit gleich entgangener Arbeitslohn In ihrer Studie berücksichtigten die schwedischen Forscher:innen zahlreiche Studien anderer Teams, darunter unter anderem eine des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW). Diese Studie kommt zu dem Schluss, dass die längeren Fahrtkosten, die mit den niedrigeren Geschwindigkeiten einhergehen, wirtschaftlich betrachtet zu erheblichen Mehrkosten führen würden. Das schwedische Team stellte dieses Ergebnis auf den Prüfstand und hinterfragte, ob es sich bei den Zeitverlusten, die in der Kieler Studie veranschlagt wurden, wirklich um „entgangenen Arbeitslohn“ handele. In Fällen, in denen Reisezeit als Arbeitszeit gewertet werde, biete sich oft an, Eisenbahnverbindungen zu nutzen. Außerdem seien Erkenntnisse zu berücksichtigen, nach denen höhere Reisegeschwindigkeiten eher zu längeren Entfernungen, nicht aber zu Zeiteinsparungen führen. Kosten vs. Einsparungen Derzeit sind etwa 55 Prozent der Autobahnabschnitte in Deutschland ohne Tempolimit. Um die mit einem Tempolimit auf diese Abschnitten einhergehenden Zeitverluste zu berechnen, legten die Forscher auf Strecken mit einer Tempobeschränkung auf 130 km/h eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 118,3 km/h zugrunde und stellten diese einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 124,7 km/h auf Autobahnen ohne Tempolimit gegenüber. Auf dieser Basis kamen sie auf einen Zeitverlust von 49,7 Millionen Stunden pro Jahr, der durch ein generelles Tempolimit entstünde. Multipliziert mit einem Wert von 21,18 Euro pro Stunde ergäben sich Kosten von etwas über einer Milliarde Euro, die durch den Zeitverlust entstünden. Demgegenüber stehen die Einsparungen durch ein Tempolimit. Die Forscher:innen kamen auf einen Wert von 766 Millionen Euro Einsparungen durch gesparten Kraftstoff, 293 Millionen Euro durch geringeren CO2-Ausstoß, 255 Millionen Euro durch vermiedene Unfälle, 286 Millionen Euro durch Energieeinsparungen entlang der Lieferkette sowie 248 Millionen Euro durch geringere Wartungs- und Herstellungskosten für die Infrastruktur. Daneben wurden noch kleinere Posten berücksichtigt, etwa für Kraftstoffsubventionen, Landnutzung und Luftschadstoffe. Höhere Geschwindigkeiten führen zu mehr Stau Die deutsche Autoindustrie argumentiert in der Debatte gerne, dass die Autobahnen unterm Strich immer sicherer würden. Dafür zieht der Verband der Automobilhersteller (VDA) die rückgängige Anzahl der Todesfälle auf Autobahnen heran. Die schwedischen Forscher:innen merken jedoch an, dass es völlig unklar sei, auf welche Faktoren dieser Rückgang zurückzuführen sei. Es sei absolut denkbar und auch nicht unwahrscheinlich, dass Faktoren wie schnellere und bessere Reaktion von Rettungsdiensten sowie eine verbesserte Sicherheitstechnik einen entscheidenden Beitrag zu diesem Rückgang leisten. Insgesamt, so die Wissenschaftler:innen, seien die Wechselwirkungen zwischen Faktoren wie Reisezeit, Luftschadstoffen, Lärm, Energieverbrauch und auch der Risikowahrnehmung der Fahrer:innen komplex. Autobahnen hätten eine maximale Fahrzeugkapazität von 2.000 pro Fahrspur und Stunde bei einer Geschwindigkeit von 70 km/h. Je schneller gefahren wird, desto wahrscheinlicher würden Verkehrsstaus. Der Faktor Klimawandel Neben den wirtschaftlichen Vorteilen eines generellen Tempolimits müsse der Klimawandel in der Diskussion berücksichtigt werden. Er führe dazu, dass neue Prioritäten gesetzt werden müssten. Wenn die deutsche Bundesregierung es mit ihrer Selbstverpflichtung zu sinkenden Emissionen im Verkehrssystem zu reduzieren, gäbe es akuten Handlungsbedarf. Der Aktionismus seitens des von FDP-Mann Volker Wissing geführten Verkehrsministerium jedoch in Grenzen, um nicht zu sagen, er ist nicht existent. Auf deutschen Straßen gibt es immer mehr Autos – 2022 wurde mit 48,54 Millionen angemeldeten Fahrzeugen ein neuer Höchststand erreicht. Nach Ansicht der schwedischen Forscher:innen würde ein Tempolimit die Optimierung von Fahrzeugen auf niedrige Geschwindigkeiten und niedrigeren Kraftstoffverbrauch begünstigen. via Global Echo Teile den Artikel oder unterstütze uns mit einer Spende. Facebook Facebook Twitter Twitter WhatsApp WhatsApp Email E-Mail Newsletter
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