Unter dem dicken Eispanzer Grönlands verbergen sich Seen, Flüsse sowie eine riesige Schlucht – das ist bereits länger bekannt. Laut einer Analyse von Forscher:innen verbirgt auch die Antarktis Erstaunliches unter ihrer Eisdecke, nämlich ein großes Flusssystem, dessen längster Fluss fast 460 Kilometer lang ist. Die Existenz dieses Systems könnte das Verhalten der Gletscher ganz entscheidend beeinflussen.


Flusssystem überraschte die Forscher:innen

Bisher war lediglich bekannt, dass es unter der Eisoberfläche der Antarktis vereinzelte Seen gibt. Diese galten jedoch lediglich als Relikte früherer Warmphasen. Anders als in Grönland bildet sich in der Antarktis selbst im Sommer kein Schmelzwasser an der Oberfläche, sodass die Existenz großer subglazialer Strömungssysteme bisher eher als unwahrscheinlich galt. Dies stellte sich nun jedoch als Irrtum heraus. Ein Team rund um Christine Dow von der University of Waterloo konnte unter dem Eispanzer der Antarktis ein riesiges subglaziales Flusssystem entdecken. Diese Entdeckung gelang, als die Forscher:innen mithilfe von Radarmessungen aus dem Flugzeug sowie geophysikalischen Modellen die subglaziale Topografie einer Region landseits des Filcher-Ronne-Schelfeises untersuchten. Es handelt sich dabei um das zweitgrößte Schelfeis der Antarktis.


Die Daten, die die Forscher:innen analysierten, offenbarten eine Überraschung: Unter dem Eis der antarktischen Region gibt es ein riesiges Flusssystem, das aus mehreren großen Kanälen an der Eisbasis besteht. Diese laufen unter den vier großen Gletschern bis unter ihre Einmündung in das Schelfeis. Der längste Fluss dieses Systems ist 460 Kilometer lang und liegt und der Foundation-Eisstrom sowie dem Akademie-Gletscher.

Zusammenhängende Flüsse statt isolierter Seen

Als wir vor einigen Jahrzehnten die ersten Seen unter dem Antarktiseis entdeckten, hielten wir sie für isoliert voneinander. Jetzt beginnen wir zu verstehen, dass es dort unten riesige Systeme von miteinander verbundenen Flüssen gibt“, erläutert Koautor Martin Siegert vom Imperial College London. Das Einzugsgebiet des subglazialen Flusssystems ist insgesamt so groß wie Deutschland und Frankreich zusammen.

Bisher war es eine gängige Annahme, dass es an der Eisbasis antarktischer Gletscher nur wenig flüssiges Wasser gibt. Die neue Entdeckung widerlegt diese Annahme. Zwar gibt es in der Antarktis kaum oberflächliches Schmelzwasser, aber anscheinend entsteht unter dem Eis dennoch genug flüssiges Wasser, um das große Flusssystem zu speisen., Nach Berechnungen der Forscher:innen fließen aus dem Kanal unter dem größten Eisstrom rund 24,2 Kubikmeter Wasser pro Sekunde unter das Schelfeis. Bei den anderen Mündungen des Flusssystems sind es zwischen 2,7 und 8,3 Kubikmeter.

Diese Kanäle sind entscheidend, um Wasser vom Inneren des Eisschilds zur Grundlinie der Gletscher zu transportieren.“, erklären die Forscher:innen

Bild: Imperial College London

Flusssystem auch für Prognosen zum Klimawandel von Bedeutung

Dieses subglaziales Flusssystem beeinflusst die Antarktis auf zweierlei Art und Weise. Zum einen verändert es die Geschwindigkeit, mit der die großen Gletscher und Eisströme in Richtung Meer fließen. „Wie viel von diesem Eis schmilzt, ist eng damit verknüpft, wie rutschig die Gletscherbasis ist. Die Region, unter der dieser Fluss liegt, umfasst genug Eis um den globalen Meeresspiegel um 4,30 Meter anzuheben“, so Dow. So ließe sich unter Umständen erklären, wieso einige der Gletscher schneller fließen als das Gefälle nahelegen würde.

Auf der anderen Seite beeinflusst das aus dem System ins Meer einströmende Schmelzwasser auch das Schelfeis. An der Grundlinie der Gletscher strömt das Süßwasser aus und sinkt dann ab, wodurch an der Eisunterseite wärmeres Wasser nachströmen kann. So kann das Abtauen des Schelfeises von unten beschleunigt werden, was auch erklären würde, wieso dort große Kavernen und Rinnen entstehen. „Weil wir den Einfluss dieser subglazialen Flusssysteme nicht kannten, könnten wir bisher gewaltig unterschätzt haben, wie schnell das Eis schmelzen wird“, erklärt Dow weiter.

Die Entdeckung eines Flusses, der hunderte Kilometer landeinwärts reicht und wesentliche Prozesse beeinflusst, zeigt, dass wir die Eisschmelze nicht vollständig verstehen können, ohne das gesamte System zu betrachten – Eisschild, Ozean und Schmelzwasser“, ergänzt Koautor Neil Ross von der University of Newcastle. Dies erlange vor allem Bedeutung für Prognosen der Eisschmelze im Zuge des Klimawandels.

via Imperial College London

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