Spätestens seit der Corona-Pandemie haben Videokonferenzen eine ganz neue Bedeutung. Neben dem beruflichen Alltag werden auch Online-Gerichtsverhandlungen immer wichtiger. Besonders in großflächigen Ländern wie etwa Kanada oder Australien sind virtuelle Gerichtsverhandlungen schon heute üblich. Sie sparen Kosten und machen weite Anreise überflüssig. Forscher:innen von Fraunhofer Austria arbeiten aktuell an einer Software, die virtuelle Avatare darstellen kann, die die Prozessbeteiligten im Online-Gerichtssaal repräsentieren sollen. Dabei werden Mimik und Augenbewegungen der Prozessteilnehmer:innen mittels deren Webcam erfasst und auf die Avatare übertragen.


Bild: Fraunhofer Austria

Digitalisierung vor Gericht

Die Corona-Pandemie hat selbst im digitalisierungsfaulen Deutschland für mehr Digitalisierung gesucht. Die Einführung digitaler Gerichtsprozesse könnte auch hierzulande in Zukunft keine Zwischenlösung mehr sein, sondern viele Vorteile im Justizalltag bringen. Zu diesen Vorteilen gehört eine kürzere Prozessdauer, da sich Termine einfacher koordinieren lassen und ggf. lange Anreisen entfallen. Virtuelle Prozesse wären also neben Zeitersparnissen auch mit geringeren Kosten verbunden.

Allerdings gibt es auch Kritik. Neben der noch nicht ausgereiften Technik bezieht sich diese auch auf verfahrensrelevante Fragen. Gerichtsprozesse folgen einem strengen Regelwerk, dessen Anwendung ins Digitale übertragen werden müsste.


Mit der Frage wie das gehen könnte beschäftigen sich Forscher:innen der Fraunhofer Austria Research GmbH, mit Unterstützung von Prof. David Tait, Forscher an der Western Sydney University. Die Antwort könnte das Virtual Court-System sein, eine Software, die den Einsatz von Videotechnik in der Ziviljustiz optimieren und ausbauen soll.

Avatare im virtuellen Raum

Zahlreiche Videokonferenz-Systeme setzen auf VR-Brillen, um den Nutzer:innen das Gefühl zu geben, dass sich alle am gleichen Ort aufhalten. Bei Fraunhofer verzichtet man auf VR, um den Zugang zum System zu erleichtern. Für die virtuelle Verhandlung setzt man auf Avatare Dabei handelt es sich um 3D-Grafikfiguren, die eine reale Person im virtuellen Raum repräsentieren. Dabei könne die Prozessbeteiligten vor der Verhandlung ihre Rolle im virtuellen Gerichtssaal auswählen. Eine Webcam nimmt dann das Gesicht auf und erfasst mittels Eyetracking, in welche Richtung der Nutzer bzw. die Nutzerin sieht. Diese Information wird dann in eine Kopfbewegung des Avatars umgesetzt, wobei ein direkter Blickkontakt zwischen den Gesprächspartnern simuliert wird.

Für die virtuellen Gerichtsverhandlungen mit unserem System ist keine komplizierte technische Ausrüstung erforderlich. Die Prozessbeteiligten setzen sich entweder in einem öffentlichen Gebäude, einer Polizeistation oder im Homeoffice vor den Laptop mit Webcam. Das ist ausreichend, um am Virtual Court teilzunehmen„, so Dr. Volker Settgast von Fraunhofer Austria.

Im virtuellen Gerichtssaal können sich alle Anwender:innen sehen und erkennen dank der Eyetracking-Technologie, wer sie gerade ansieht. Dabei werden nicht nur die Augenbewegungen erfasst, sondern auch die Mimik. „Da die Webcam Mundbewegung und Gesichtsausdruck aufnimmt, sind Rückschlüsse auf den Gemütszustand der Teilnehmenden möglich. Bei klassischen Videokonferenzen wird das Videobild übertragen, dies entfällt bei unserem System durch den Einsatz der Avatare. Lediglich der Audiostream und die aus dem Eyetracking und der Mimikerkennung resultierenden Daten werden übertragen. Der zu transferierende Datenstrom ist daher reduziert„, so Settgast weiter.

Zivilprozess der Zukunft

Die virtuellen Gerichtssäle sollen länderspezifisch angepasst werden. Außerdem wollen die Forscher:innen die Avatar-Animationen weiter verbessern, etwa indem die Hände der Teilnehmer:innen in die Gestenerkennung integrieren. Des Weiteren soll die Software künftig auch im Browser laufen. „Letztendlich wollen wir das Gerichtssetting komplett in den virtuellen Raum verlagern und Video-Konferenzen auf Augenhöhe für Zivilgerichte realisieren. Da Augenbewegungen, Mimik und Gestik erkennbar sind, können künftig Gerichtsprozesse mit persönlichem Charakter auch digital durchgeführt werden„, erklären die Forscher:innen.

via Fraunhofer

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