Wie fest oder hart ein Material ist, hängt von seiner Kristallstruktur ab. Diese muss so beschaffen sein, dass ihre Atombindungen möglichst druckresistent sind und gleichzeitig die Ausbreitung von Rissen verhindern. Forscher:innen haben nun entdeckt, dass eine einfach Metalllegierung sich sogar bei ultrakalten Temperaturen als extrem fest erweist und beim Abkühlen noch widerstandsfähiger wird. Diese Fähigkeit ist ungewöhnlich und liegt an drei Veränderungen, die im Kristallgitter des Materials bei Abkühlung vonstatten gehen.


Bild: Robert Ritchie/Berkeley Lab

Neue Erkenntnisse zu „alter“ Legierung

Strukturelle Materialien sollen hart, aber auch nachgiebig und rissresistent sein. Typischerweise muss man einen Kompromiss zwischen diese Eigenschaften eingehen„, so Easo George vom Oak Ridge National Laboratory. Bei zunehmender Kälte werden die meisten Materialien zudem spröder, das heißt ihre Biegsamkeit nimmt ab und sie reißen und brechen leichter.

Ein Team um George und Erstautor Dong Liu von der University of Bristol hat jedoch nun ein Material identifiziert, dass extrem hart und rissbeständig ist und bei ultrakalten Temperaturen sogar noch stabiler wird. Bei dem Material handelt es sich um eine sogenannten Hoch-Entropie-Legierung (HEA), die aus Chrom, Kobalt und Nickel (CrCoNi) besteht. Diese Legierungen zeichnen sich dadurch aus, dass die einzelnen Metallbestandteile zu fast gleichen Anteilen in ihnen enthalten sind. Somit haben sie eine Gitterstruktur, die sie sowohl hart und verformbar zur gleichen Zeit macht.


Die hohe Festigkeit der CrCoNi-Legierung ist schon längere Zeit bekannt. Liu und seine Kolleg:innen haben nun untersucht, wie sich diese Festigkeit beim Abkühlen verhält und worauf sie beruht. Dafür kühlten sie Proben der Legierung auf minus 253 Grad Celsius runter und untersuchten ihre Festigkeit, Rissstabilität und die Veränderungen im Kristallgitter unter Einsatz von Röntgenbeugung, Elektronen Rückstreuung und Transmissions-Elektronenmikroskopie.

Außergewöhnliche Widerstandsfähigkeit bei Kälte

Die Ergebnisse erstaunten die Forscher. Selbst bei Temperaturen nahe des absoluten Nullpunkts blieb die Legierung extrem hart und wurde dabei nicht spröde. „Die Festigkeit des Materials liegt selbst bei Temperaturen von flüssigem Helium noch bei rund 500 Megapascal zur Quadratwurzel des Meters. Zum Vergleich: Silizium hat eine Festigkeit von eins, Flugzeugaluminium von 35 und einige der härtesten Stähle erreichen 100„, so Seniorautor Robert Ritchie vom Lawrence Berkeley National Laboratory.

Die Chrom-Kobalt-Nickel-Legierung hat damit eine der am höchsten jemals gemessenen Festigkeiten und wird bei zunehmender Kälte immer stabiler. Selbst bei extremer Abkühlung konnten keine Risse nachgewiesen werden. Selbst zuvor absichtlich erzeugte Brüche breiteten sich nicht weiter aus. „Eine solche stetige Zunahme der Festigkeit gegenüber Rissbildung ist extrem selten. Unter den cryogenischen Strukturmaterialien scheinen Hoch-Entropie-Legierungen aus Chrom, Kobalt und Nickel und im Speziellen CrCoNi sogar einzigartig zu sein„, so das Team.

Stabilisierende Prozesse im Kristallgitter

Im nächsten Schritt wollten die Forscher:innen herausfinden, was dieser Legierung ihre außergewöhnliche Beständigkeit verleiht. Im Grunde hat sie ein relativ einfaches Kristallgitter, das auf den ersten Blick keine Rückschlüsse auf die außergewöhnlichen Merkmale ermöglicht. „Die Struktur von CrCoNi ist die einfachste, die man sich vorstellen kann – im Prinzip besteht sie nur aus Körnchen. Aber wenn man das Material deformiert, wird sie ziemlich kompliziert und diese Veränderungen tragen zu seiner außergewöhnlichen Widerstandsfähigkeit gegenüber Brüchen bei„, so Ritchie.

Ihre besondere Stabilität verdankt die Legierung einer Abfolge von stabilisierenden Prozessen in ihrem Kristallgitter, bei denen Gitterdefekte eine entscheidende Rolle spielen. Bei solchen Defekten handelt es sich um Störungen in der regelmäßigen Grundstruktur des Materials, die das Verbiegen verhindern und es daher härter machen. Allerdings können diese Defekte auch Brüche und Risse fördern.

Drei Effekte verhindern Brüche

Bei der CrCoNi-Legierung ist dies allerdings nicht der Fall. Verhindert wird es durch drei mit zunehmendem Druck auftretenden Veränderungen im Kristallgitter. Das Gitter kann sich trotz Fehlstellen parallel gegeneinander verschieben. Ein zweiter Effekt der eine Rolle spielt ist das sogenannte Nano-Twinning, bei dem sich das Gitter entlang der bestehenden Grenzflächen so anordnet dass beide Seiten sich perfekt spiegeln.

Wenn der Druck auf das Material weiter anhält, greift ein dritter Mechanismus in Kraft. Dabei verändert die Elementarzelle des Kristallgitters ihre Form. Bei dieser handelt es sich um die kleinste Grundeinheit des Gitters. dieses formt sich dann von einem kubisch flächenzentrierten Gitter in ein hexagonales Kristallsystem mit besonders dichter Atomanordnung um. „Diese Prozesse sind nicht grundlegend neu, aber die Tatsache, dass sie in dieser Reihenfolge nacheinander auftreten, verleiht dem Material seine wirklich enormen Eigenschaften„, so Ritchie weiter.

Die neuen Erkenntnisse tragen nach Ansicht der Forscher:innen nicht nur zum besseren Verständnis von Hoch-Energie-Legierungen bei, sondern sie können auch hilfreich sein, wenn es um die Entwicklung neuer ultraharter und stabiler Metalllegierungen geht. So muss etwa flüssiger Wasserstoff zum Transport auf extrem niedrige Temperaturen heruntergekühlt werden. Stabile Metalllegierungen könnten sich hier als hilfreich erweisen. Aber auch in der Luft- und Raumfahrt werden Materialien benötigt, die extremer Kälte widerstehen können. Nickel und Kobalt sind allerdings weltweit stark nachgefragt, weshalb das Team bereits nach Hoch-Entropie-Legierungen mit anderen Metallen sucht.

via Lawrence Berkeley National Laboratory

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